In Allgemeines

In der Therapie geht es um Veränderung, Wünsche und Ziele. Wir Menschen sind in der Lage vieles zu erreichen. Ich könnte an dieser Stelle einen Beitrag über die Neuroplastizität unseres Gehirns schreiben. Doch schöner finde ich es – besonders so kurz vor Weihnachten – mal einer Schneeflocke zuzuhören…
Viel Spaß damit! Ihnen frohe Feiertage und einen guten Start ins Neue Jahr.
Ihre Elke Horn

BEOBACHTUNGEN EINER SCHNEEFLOCKE

Sanft landet sie auf allen, die vor ihr angekommen sind. Einige Tausend Meter weiter oben formte sie sich zu einem einzigartigen Kristall, um sich mal schneller, mal langsamer als Schneeflocke der Erdanziehungskraft hinzugeben und weiter unten einen Landeplatz zu finden.

Wald, Vogelperspektive, Schnee, WinterEin Baum ist es geworden. Behangen mit Lichter, Weihnachtsdeko und Lautsprecherboxen. Die Melodie der Weihnachtslieder strömt beschwingend durch die Äste und hält die Schneeflocken wach, um das Treiben unter ihnen auf diesem Adventmarkt zu beobachten. Es ist Abend.

Das Plaudern der Menschen wird nur hörbar, wenn ein Lied zu Ende ist und das nächste noch nicht angefangen hat. Sonst ist das Plaudern für die Schneeflocken am Baum nur ein Hintergrundgeräusch zur Musik. Unten wird es wohl umgekehrt sein.

Ein Lied ist zu Ende. Unter dem Baum der gerade angekommenen Schneeflocke unterhalten sich eine Frau und ein Mann über ihren Alltag, ihre Wünsche und Ziele für die Zukunft. Neugierig hört sie zu.

„Nichts Interessantes dabei“, sagt eine andere Schneeflocke auf einem Nebenast.

„Also ich war schon sehr gespannt auf die Menschen“, antwortet die Neue. „Immerhin bin ich das erste Mal hier.“

„Wenn du in ferner Zukunft wieder herkommst, wirst du etwas Ähnliches hören“, versicherte ihr der Veteran unter den Schneeflocken. „Letztendlich geht es immer um ihre Zukunft. Und sehr oft auch um ihre Sorgen, wie diese Zukunft sein wird. Manchmal geht es auch um das, was sie den ganzen Tag so machen. Das nennen sie Gewohnheiten. Hör mal, worum es jetzt gerade da unten geht.“

Beide müssen sich auf die Unterhaltung konzentrieren und beschließen, die nächste leichte Windböe zu nutzen, um ein Stück weiter runter zu rieseln. Nun liegen sie am Vordach einer Punschhütte und hören zu. Der Veteran hatte Recht. Es geht um Gewohnheiten, die beide zu ändern gedenken. Sich nicht mehr so antreiben lassen, will die eine. Der andere stimmt ihr zu. Er will in Zukunft auf Kaffee verzichten. Wenigstens auf den am Nachmittag. Und zu Hause nicht mehr über Probleme in der Arbeit sprechen, das wollen beide. Dieser Austausch an Vorhaben stimmt sie optimistisch, dass dies alles gelingen wird.

Der Veteran kichert ein bisschen: „Alles nur Geschwätz nach dem zweiten Punsch. Sie unterschätzen, wie anstrengend etwas Neues sein kann. Selbst bei banalen Dingen entscheiden sie sich lieber für den bequemen Weg, sogar wenn dieser mit Nachteilen verbunden ist.“

„Woher willst du das wissen?“, wundert sich das junge Schneeflöckchen.

„Das kann ich dir gerne erzählen“, antwortet der Ältere. „Im letzten Winter war ich schon einmal bei den Menschen. Unweit von hier in einem Wald. Es schneite damals heftig. Trotzdem kamen immer wieder Spaziergänger, um Tannenzapfen und Zweige für Ihre Dekorationen zu sammeln. Durch den vielen Schnee waren manche Wege schwierig zu durchschreiten. Und so wurden immer nur dieselben Wege begangen – und die Tannenzapfen und Zweige dort natürlich immer weniger. Durch die vielen Fußspuren blieben diese Wege leicht passierbar. Gleichzeitig wurde der Tiefschnee bei den anderen Wegen immer höher.“

durch Tiefschnee spazieren, Fußstapfen, Winter, „Und was hat das mit den Gewohnheiten zu tun?“, fragt die junge Schneeflocke.

„Ziemlich viel!“, erwidert Herr Flocke. „Denn die zugeschneiten Wege erinnern an neue Gewohnheiten. Durchzuwaten ist mühsam. Es ist anstrengend und man wird nass. Deshalb vermeiden sie solche Wege. Sogar dann, wenn es sich lohnen würde. Die meisten entscheiden sich doch wieder für den einfachen Weg, der schön ausgetreten ist. Der Weg durch den Tiefschnee würde zwar auch leichter werden, wenn sie öfters hin und her gehen, aber soweit kommt es meistens nicht. Deshalb bleibt dieser Weg immer mühsam. So wie neue Handlungen und Verhaltensweisen auch immer mühsam bleiben, weil sie einfach nicht oft genug getan werden. Und so bleiben viele immer bei den alten Gewohnheiten, weil diese Wege leichter zu gehen sind.“

„Gibt es da keine Ausnahmen? Können neue Gewohnheiten nie leicht werden?“, möchte das Flöckchen wissen.

„Doch. Auch damals gab es eine Familie, die durch den Tiefschnee gestapft ist. Sie wollten unbedingt mehr Tannenzapfen und Zweige finden. Sie hatten ein großes Fest geplant. Sie hatten also einen wichtigen Grund, und deshalb haben sie die Mühe auf sich genommen. Mit der Zeit ist das Durchwaten sogar leichter geworden.

Später erzählte mir eine andere Schneeflocke, dass sie am Fensterbrett eines Hauses lag und hineinblickte. Sie sah ein wunderbares Fest. Glückliche Menschen. Und eine Deko mit viel Liebe zum Detail und zur Natur. Denn diese schön verzierten Tannenzapfen und Zweige mussten aus dem Wald kommen. Diese Familie hatte etwas ganz Besonderes gemacht. Ich wusste natürlich sofort, um wen es sich handeln musste.“

„Um die Familie, die durch den Tiefschnee ging?“, vergewisserte sich das Flöckchen.

„Ja. Und noch etwas habe ich seither immer wieder beobachtet: Menschen mit der Bereitschaft, durch den Tiefschnee zu gehen, mögen sich zwar zu Beginn mehr anstrengen, sind im Nachhinein aber fast immer glücklicher, weil sie etwas für sie Besonderes geschafft haben.“

Von Michael Altenhofer

gefunden auf https://www.michael-altenhofer.at bei LESENSWERTES unter „Kolumne“ vom 20. Dezember 2018

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